„Wir Wollen Grenzen brechen“

„Wir Wollen Grenzen brechen“

Petr Popelka über den großen Bogen, den er mit seinen Wiener Symphonikern spannen will
Petr Popelka

Sie starten in Ihre zweite Saison als Chefdirigent. Wie beschreiben Sie Ihre Verbindung zum Orchester nach dem ersten Jahr in dieser Funktion?

Die vergangenen Konzerte haben gezeigt, welch wunderbare Stimmung und welch kreative Atmosphäre wir im Orchester haben. Wir sind sehr auf einer Wellenlänge und freuen uns, wenn wir intensiv arbeiten können. Was bisher war, war ein schöner Anfang und hat eine tolle Basis geschaffen für das, was kommt. Ich wünsche mir, dass wir diese kreative und respektvolle Arbeit so weiterführen. 

Sie sind bekannt dafür, sehr auf Augenhöhe mit den Musikerinnen und Musikern zu agieren. Was macht das aus?

Es geht darum, eine gemeinsame Sprache zu finden. Nur dann ist es möglich, besondere Klangwelten zu schaffen, wie uns das in der ersten gemeinsamen Saison schon gelungen ist. Damit Musik auf höchstem Niveau gespielt werden kann, müssen die Leute offen sein. Und die Wiener Symphoniker sind nicht nur das – sie sind darüber hinaus hungrig danach, auf einer besonderen Ebene zusammenzuarbeiten. Es ist schön, wenn sie darauf einsteigen, was ich anbiete. Ich bin das Gegenteil von dem, was ich in meiner Anfangszeit als Musiker erlebt habe: Damals gab es Pult-Tyrannen, die mit Angst Ergebnisse erzielen wollten. Ich habe mich immer schon gefragt, ob man nicht durch freundschaftlichen Umgang viel bessere Ergebnisse erreicht. Gottseidank hat sich hier viel geändert, in der Branche und auch in der Gesellschaft an sich. Ich vertrete den Ansatz, dass man nur sein Bestes geben kann, wenn man sich wohlfühlt. Daher ist die Grundlage für jede meiner Proben Vertrauen, Respekt – und Gespräche, denn Musikerinnen und Musiker sollen wissen, warum ich von ihnen will, dass sie etwas so oder so spielen.

Ihren Einstand als Chefdirigent der Wiener Symphoniker gaben Sie 2024 mit Arnold Schönbergs Gurre-Liedern, nun folgt am 13.9. wieder ein Saisonstart mit Schönberg. Warum?

Da Schönberg dem Orchester so verbunden ist wie kaum ein anderer Komponist, finde ich es sehr schön, dass wir nun stets an seinem Geburtstag Musik von ihm spielen – stand er doch beim berühmten Watschenkonzert selbst am Pult von Vorläufern unserer Orchestermitglieder und haben solche doch auch seine Gurre-Lieder uraufgeführt. Dass wir nun seine Musik durch eine neue Initiative regelmäßig im Arnold Schönberg Center präsentieren, feiert dies. Außerdem ist er einer meiner Helden – und ich werde selbst am ersten kammermusikalischen Abend am Klavier mitwirken.

2024 war Schönberg ein Jubilar, dem Sie huldigten, 2025 feiert ganz Wien Johann Strauss. Sie werden im MusikTheater an der Wien seine Operette Die Fledermaus präsentieren. Welche Beziehung haben Sie zu diesem Werk? 

In Tschechien, wo ich herkomme, hatte man früher nicht so viele Möglichkeiten, diese Operette zu hören. Aber als ich in Dresden an der Semperoper als Musiker engagiert war, kam ich intensiver mit ihr in Kontakt. Ich bin sehr froh, dass ich dieses Werk nun dirigieren darf. Meiner Ansicht nach muss man diese Musik sehr ernst nehmen und sie mit dem gleichen Anspruch umsetzen, mit dem man beispielsweise einen Mozart macht. Gerade diese Musik läuft Gefahr, als „leicht“ angesehen zu werden, aber man muss sie mit dem höchsten Anspruch spielen. Ich freue mich auf diese intensive Arbeit.

Sie haben auch Schwerpunkte zu Gustav Mahler angekündigt. Warum haben Sie für diese Saison die Siebte, Dritte und Erste ausgesucht? 

Gerade die Siebte liegt mir sehr am Herzen. Sie ist in meinen Augen die schwierigste – mit ihrer ausgeweiteten Form, den erweiterten Instrumenten, dem fantastischen Scherzo, dem großartigen Finale … Sie ist ein Mammutwerk. Ich dachte, wenn wir Mahlers Symphonien bringen, fangen wir doch bei etwas Ungewöhnlichem an. Und die Erste ist Teil meiner Geschichte mit dem Orchester, war sie es doch, mit der ich für meinen Vorgänger eingesprungen bin und bei der es zwischen mir und den Musikerinnen und Musikern gefunkt hat. So sehr gefunkt, dass anschließend die Frage aufkam, mich als Chefdirigent einzuladen.

Um die Geschichte des Orchesters selbst geht es beim Geburtstagskonzert. Welche Aspekte der Historie der Wiener Symphoniker möchten Sie hier durch das Programm betonen?

Mir war wichtig, an diesen Abenden Stücke einzubringen, die das Orchester uraufgeführt hat. Denn die Wiener Symphoniker stehen ja mit ihrem Namen seit jeher dafür, dass sie im Laufe ihrer Geschichte viele wichtige Uraufführungen gemacht haben. Ob nun das Konzert für Klavier (linke Hand) und Orchester D-Dur von Maurice Ravel oder Alban Bergs Sieben frühe Lieder, die wir beide präsentieren. Außerdem spielen wir ein Stück, das auf dem allerersten Programm der Wiener Symphoniker stand, die Faust-Ouvertüre von Richard Wagner. Sie wird selten aufgeführt, aber ich liebe sie sehr. Gleichzeitig war mir auch wichtig, etwas Unerwartetes zu bringen. Wenn man von einem Jubiläumsfest spricht, denkt jeder an opulente Stücke. Mozarts Jupiter-Symphonie geht in eine andere Richtung. Sie ist in meinen Augen mit das Allerhöchste, was in der Musik geschaffen wurde. Auch das entspricht der Tradition der Wiener Symphoniker: Musik auf höchstem Niveau mit etwas zu machen, das kleiner ist in der Außenwirkung, aber ganz groß für den Geist.

Bei Ihrem Adventkonzert im Stephansdom werden Sie „böhmische Weihnachten“ feiern, inwiefern?

Ich wollte, dass das Böhmisch-Märchenhafte heuer Thema ist. Und dass auch tschechische Sängerinnen und Sänger mitwirken, die mit Wien verbunden sind und Weltkarriere gemacht haben. Wir spielen ausschließlich böhmische Stücke, die mit dieser zauberhaften Stimmung zu tun haben.

Unter Ihren persönlichen Favoriten, die Sie oft bringen wollen, sind Béla Bartók und Robert Schumann. Wieso ist Ihnen gerade Das Paradies und die Peri des letzteren ein Anliegen?

Ja, ich möchte jede Spielzeit wichtige Werke von Schumann, Bartók und Mahler dabeihaben. Schumann aufzuführen verlangt vom Orchester viel Fantasie. Wer hier nur spielt, was in den Noten steht, macht die Musik kaputt. Es braucht viel Kreativität – und umso wichtiger finde ich es, dass ein Orchester Werke von ihm im Repertoire hat. Das Paradies und die Peri war zu seinen Lebzeiten jenes, für das jeder Schumann kannte. Heute wissen wenige Leute, dass er es geschrieben hat, obwohl es so traumhafte Musik ist. Das wollen wir ändern. Und von Bartók bringen wir die Doppelklaviersonate, die er selbst damals mit seiner Frau gespielt hat. Die Orchesterfassung wird nicht oft aufgeführt, aber gerade deshalb wollte ich, dass wir das machen. Ich empfinde Bartók als Teil der Symphoniker-Tradition, denn seine Musik ist nicht nur hier in Mitteleuropa verhaftet, sondern liegt dem Orchester auch sehr gut. Und das Wichtigste ist: Ich finde seine Musik sehr zugänglich für jedermann. Seine Partituren sind sehr komplex und jeder schätzt ihn als einen der wichtigsten Komponisten für den Anfang der modernen Musik, aber trotzdem ist alles so geschrieben, dass es das Publikum mitreißt. Das finde ich das Faszinierende. 

Apropos zugänglich: Noch näher an das Publikum herankommen wollen Sie mit dem neuen Format Hör-Bar, das auf Ihren Wunsch hin eingeführt wird. Was erwartet Besucherinnen und Besucher dabei? 

Ich habe die Grenze zwischen Publikum und Ausführenden immer als unangenehm empfunden und möchte sie aufbrechen. Wir wollen einen Raum schaffen, wo Zuhörerinnen und Zuhörer sowie Musikerinnen und Musiker in lockerer Atmosphäre – auch mit Sitzkissen und Getränken – näher zusammenrücken und wir ins Gespräch kommen. Dabei werde ich interessante Zusammenhänge zu den Stücken, die wir spielen, erklären. Allerdings nicht belehrend mit dem Zeigefinger, sondern mit dem Wunsch, neue Kontexte zu ermöglichen. Beim ersten Konzert werden wir musikalische Zusammenhänge zwischen Wien, Prag und Budapest präsentieren, später auch ein paar Sachen von jungen Komponistinnen und Komponisten bringen. Ich werde diese Konzerte einerseits moderieren und dirigieren, andererseits auch selbst zum Instrument greifen.

Sie haben auch diese Saison einige Tourneen vor, inwiefern ist es Ihnen hier wichtig, dass das Orchester als musikalischer Botschafter wirkt?

Natürlich haben wir, wenn wir reisen, eine große Tradition im Gepäck. Gleichzeitig sind Tourneen heutzutage nicht unumstritten. Ich aber finde Tourneen auch für das Orchester sehr wichtig, denn bei diesen wächst man zusammen und lernt mit verschiedensten Akustik-Voraussetzungen umzugehen und flexibel zu sein. Das ist dem Zusammenspiel und der Klangkultur sehr zuträglich. Nur durch Reisen kann ein Orchester Höchstniveau erreichen.

Welche Charakteristika der Wiener Symphoniker - vom Traditionsorchester bis zu solchem mit Pioniergeist - sind Ihnen besonders wichtig, hervorzustreichen? 

Für mich hat das Orchester zwei Gesichter. Wir stehen für größte Vielfalt, von der älteren bis zur modernen Musik. Heuer haben wir keine Uraufführungen im Programm – von kleineren bei Hör-Bar abgesehen – einfach deshalb, weil die beauftragten Komponistinnen und Komponisten noch ein wenig Zeit brauchten und dafür in den nächsten Saisonen mehrere folgen. Aber wir starten neue Initiativen, die auch ausmachen, dass das Orchester als moderner Klangkörper wahrgenommen wird. Nikolaus Harnoncourt sagte einmal, ein Musiker des 21. Jahrhunderts probt am Vormittag auf historischen Instrumenten Bach und spielt am Abend Berio. Ich glaube, das macht es aus. Wir wollen diesen großen Bogen schaffen. Meiner Ansicht nach gibt es kein Genre, auf das die Wiener Symphoniker keinen Zugriff haben. Sich dem großen symphonischen Repertoire zu verschließen, fände ich ebenso schade, wie keine moderne Musik oder keine Barockmusik zu machen. Dazu kommt noch Genreübergreifendes. Die ganze Bandbreite abzudecken ist nicht einfach, aber ich finde das schön.

Sie sagten, Sie möchten in der Jubiläumssaison die Geschichte des Orchesters betonen und danach eine neue Phase starten. Wie sieht diese neue Phase aus?

Dass wir heuer so viele Stücke präsentieren können, die einst von unserem Orchester aus der Taufe gehoben wurden, ist ein Schatz. Den Rückgriff auf diesen Schatz sollten wir auch unseren Nachfolgerinnen und Nachfolgern in vielen Jahren ermöglichen. In den kommenden Jahren werden wir daher wieder in jeder Saison ein bis zwei große Uraufführungen bringen und für die Zukunft aufbauen. In der Hoffnung, dass es auch in vielen Jahren über Werke von heute einmal heißen wird: Dieses Stück haben in den 2020ern die Wiener Symphoniker uraufgeführt.

Das Interview führte Dr. Theresa Steininger-Mocnik