Brahms Schwerpunkt
Gleich zu Beginn seiner letzten Saison als Chefdirigent der Wiener Symphoniker setzt Philippe Jordan die Symphonien von Johannes Brahms aufs Programm. Es ist dies ein konsequenter Schritt – hat er seit seinem Amtsantritt 2014 mit den Symphonikern doch kontinuierlich aufs Neue den Blick geschärft und das Ohr geschult für tragende Säulen im Repertoire des Orchesters: Schubert, Beethoven, Bruckner und Schumann. Und nun also Brahms – die vier Symphonien, die zugleich auf CD festgehalten werden, sowie im weiteren Saisonverlauf das Violinkonzert, die beiden Klavierkonzerte und das „Deutsche Requiem“.
Brahms - Der Berufene
Bereits 1853 hatte Robert Schumann in seinem Artikel „Neue Bahnen“ Brahms’ frühe Klaviersonaten als „verschleierte Symphonien“ bezeichnet und der Musikwelt in dem gerade zwanzigjährigen Hamburger einen großen künftigen Symphoniker prophezeit. Bis Brahms mit einer Symphonie an die Öffentlichkeit trat, sollten allerdings noch mehr als zwei Jahrzehnte vergehen – Jahre freilich, in denen er um ein Werk dieser Gattung rang. Die beiden Serenaden op. 11 und 16 in deutlich symphonischer Anlage, das monumentale Erste Klavierkonzert op. 15 – hervorgegangen aus einem frühen Symphonie-Entwurf – und die „Haydn-Variationen“ op. 56a zeugen davon. Doch „wenn man wagt, nach Beethoven noch Symphonien zu schreiben, so müssen die ganz anders aussehen“, teilte Brahms seinem Detmolder Freund Carl Bargheer mit. Und gegenüber dem Dirigenten Hermann Levi äußerte er: „Ich werde nie eine Symphonie komponieren! Du hast keinen Begriff davon, wie unsereinem zu Mute ist, wenn er immer so einen Riesen hinter sich marschieren hört.“

Das musikalische Erbe des „Riesen“ Beethoven wirkte übermächtig auf Brahms. Die Richtung der Neudeutschen, Wagners etwa und Liszts, hin zum Musikdrama und zur Symphonischen Dichtung war nicht die seine. Seine Verwurzelung im und sein Respekt vor dem historisch Gewordenen zwangen ihn geradezu, Bezug auf die Tradition zu nehmen. Aus dem „nie“ wurde schließlich doch eine erste, die Erste Symphonie op. 68: Im tragischen c-Moll von Beethovens Fünfter, der „Schicksalssymphonie“, bahnte sich Brahms – vom Entwurf des ersten Satzes 1862 bis zur Vollendung der Komposition 1876 – seinen eigenen Weg direkt aus der Tradition heraus, mit einem klassisch angelegten viersätzigen Werk, zwei raschen Eck- und zwei kontrastierenden Mittelsätzen und einem Finale, das auf das „Freude“-Thema von Beethovens Neunter zurückgreift. „Kein Komponist“, schrieb Eduard Hanslick in seiner Kritik über die Wiener Erstaufführung im Großen Musikvereinssaal, sei „dem Stil des späten Beethoven so nahe gekommen wie Brahms in diesem Finale“.
Wo Beethoven als Symphoniker geendet hatte, genau dort knüpfte Brahms an. Mit der c-Moll-Symphonie war der Bann gebrochen und die Bahn frei für das Eigene. Binnen Jahresfrist legte er die Zweite Symphonie op. 73 nach. So leicht ging ihm nun dieses Werk von der Hand in den Sommermonaten in Pörtschach: „… da fliegen die Melodien, daß man sich hüten muß, keine zu treten …“ Sechs Jahre darauf schloss er die Dritte op. 90 und 1885 die Vierte Symphonie op. 98 ab. In allen vier Werken folgt Brahms in der Gesamtanlage der Tradition und definiert die überbrachten Satzformen für sich neu – wandelte sie ab, kombinierte sie. Die Variationenform, die Brahms zeit seines Lebens besonders faszinierte, verfeinerte er mit jedem Werk. Das Finale der Vierten Symphonie präsentiert sich gewissermaßen als Höhepunkt dieser Kunst, als Chaconne mit 31 Variationen.
Die Symphonien Johannes Brahms’, des einstigen Konzertdirektors der Gesellschaft der Musikfreunde, haben im Musikverein eine wichtige Heimstatt von Beginn weg. Hier dirigierte Brahms selbst die Wiener Erstaufführung seiner Ersten Symphonie, hier erlebte er die Uraufführungen der Zweiten und der Dritten. An der Aufführungstradition haben die Wiener Symphoniker seit ihrer Gründung wesentlichen Anteil – zum Saisonbeginn 2019-20 wird sie unter Philippe Jordan fortgesetzt.
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