Berlioz und die deutschen Meister

Als „Beethoven Frankreichs“ erfreute sich Hector Berlioz zu Lebzeiten in Wien großer Bekanntheit. Die Kritiker hierzulande liebten und hassten ihn gleichermaßen. Man lobte seine „hübschen, genialen musikalischen Ideen“, mokierte sich aber über seine „unklare Tonsprache“. Niccolò Paganini schrieb ihm persönlich, dass seit Beethoven niemand aufgetreten sei, der so großartige Kompositionen geschaffen hätte. Während Berlioz in seiner Heimat Frankreich kaum Beachtung fand, polarisierte er in der Fremde, vor allem im deutschsprachigen Raum. Naheliegend also ein weiterer Vergleich Berlioz’ mit einer deutschen Ikone. Den „brütenden, nach Unendlichem ringenden Faust in der Componistenwelt“, nannte ihn die Allgemeine Theater Zeitung im Jänner 1846 nach der österreichischen Erstaufführung von Roméo et Juliette im Theater an der Wien.
Eine prophetische Analogie, denn noch im selben Jahr wurde Berlioz’ dramatische Legende La damnation de Faust an der Pariser Opéra Comique uraufgeführt. Im Jahr 1828, 20 Jahre nach der deutschen Erstausgabe, las Berlioz die französische Übersetzung von Johann Wolfgang Goethes Faust. Er war beeindruckt und hielt in seinen „Lebenserinnerungen“ fest: „Dieses wunderbare Buch fesselte mich sofort. Ich trennte mich nicht mehr davon und las dauernd darin: bei Tisch, im Theater, auf der Straße, überall!“

Eigenhändiges Manuskript von La damnation de Faust Hector Berlioz
Inspiriert von der Tragödie erstem Teil komponierte Berlioz die Schauspielmusik Huit scènes de Faust. In zweifacher Ausführung ließ er sie Goethe zukommen, nicht ohne seiner tiefen Verehrung für dessen Werk Ausdruck zu verleihen. Goethe fühlte sich geschmeichelt, traute sich allerdings eine musikalische Beurteilung nicht zu. Er schickte ein Exemplar an Carl Friedrich Zelter. Das Urteil des kulturpolitisch einflussreichen, jedoch konservativen Komponisten Zelter war vernichtend. Berlioz wartete also vergebens auf eine Antwort Goethes und vernichtete alle Kopien, die ihm in die Hände kamen.
Knapp 20 weitere Jahre später, 1846, nahm er das Projekt, die Faustlegende zu vertonen, wieder auf. Seine kompositorische Intention war, „das Meisterwerk weder zu übersetzen, noch auch es nachzuahmen, sondern lediglich, mich daran [zu] begeistern und die darin enthaltene musikalische Substanz heraus-zuziehen“. Das Ergebnis wurde kaum gewürdigt, die Premiere zu einem legendären Misserfolg und finanziellen Desaster. Dennoch hat die Hybrid-Komposition zwischen Oper und Oratorium bis heute ihren Stellenwert in der französischen Operntradition behalten.
Am Beginn des 20. Jahrhunderts standen in Wien Auszüge aus La damnation de Faust in Potpourri-Konzerten hoch im Kurs. Eine dieser Melodien wird heute noch – häufig als Zugabe – von Orchestern vielerorts gespielt: Der Marche hongroise, Berlioz’ Bearbeitung des ungarischen Rákóczi-Marsches. In Ungarn feierte er damit große Erfolge. Kurzerhand nahm er daher die Melodie in La damnation de Faust auf. Alleine dafür beschloss er, die Handlung im ersten Teil nach Ungarn zu verlegen, wo Faust auf einer Frühlingswiese in der Puszta aufwacht. Und auch am Ende von Fausts Leben greift Berlioz gestalterisch ein: Den armen Tor erwartet ein ekstatischer Ritt in die Hölle.
Theresa Selzer
Termine