Glaube, Liebe, Hoffnung

Glaube, Liebe, Hoffnung

in dunkler Zeit

Denkwürdiges Programm der Wiener Symphoniker mit Werken von Schönberg, Bernstein, Ives und Perpessa

Text von Rainer Lepuschitz

Es ist eine der berührendsten und erschütterndsten Augenblicke der abendländischen Musik: Ein Sprecher schildert atemlos die schrecklichen Befehle und Zählappelle der Nationalsozialisten im Lager des Warschauer Gettos, da stimmt ein Männerchor das jüdische Glaubensbekenntnis „Schma Israel“ an, das Gefangene im Lager als verzweifelten Hoffnungsgesang und inneres Widerstandszeichen beteten. Über Arnold Schönbergs 1947 entstandenes Melodram „Ein Überlebender aus Warschau“, das die Wiener Symphoniker ins Zentrum eines denkwürdigen Programms gestellt haben und gemeinsam mit Thomas Quasthoff als Sprecher und dem Männerchor der Wiener Singakademie unter der Leitung von Constantinos Carydis im Wiener Konzerthaus aufführen, sagte einer der Schüler Schönbergs, René Leibowitz: „Man hat ganze Bände, lange Aufsätze, viele Artikel über dieses Problem geschrieben, aber Schönberg hat in acht Minuten mehr ausgedrückt, als es bis jetzt irgendjemand vermocht hat.“ Schönberg, dessen Bruder Heinrich und Cousin Arthur Opfer des Holocausts wurden, hat seine direkte Betroffenheit mit größtmöglicher Dichte der kompositorischen Struktur in Noten gesetzt.

Von ähnlicher Intensität auf engstem Raum wirkt die Anfang des 20. Jahrhunderts entstandene Komposition „An unanswered Question“ des US-Amerikaners Charles Ives, der in fünf Minuten der „immerwährenden Frage der Existenz“ (gestellt von der Trompete), die in dem Gedicht „The Sphinx“ des Transzendentalisten Ralph Waldo Emerson ausgebreitete „Stille der Druiden, die nichts wissen, sehen und hören“ (in den sphärischen Streichern) gegenüberstellt und „kämpfende Antwortende“ (in den aufgeregten Flöten) einer letztlich ziellosen Lösungssuche aussetzt.

Von wesentlich größerem Umfang, aber nicht minder ergreifend und essentiell, sind Leonard Bernsteins 1965 für das englische „Southern Cathedral Festival“ komponierte und nach einer der Kathedralen benannte „Chichester Psalms“. In dem nach Texten der Psalmen 2, 23, 100, 108, 131 und 133 komponierten Werk, das gemischten Chor, großes Orchester und im Zentrum einen Knabensolisten (im Konzerthaus ein Wiener Sängerknabe) aufbietet, werden selige, trostspendende, freudige, friedvolle, aber auch martialische, kriegerische Sphären durchschritten. Laut Aussage des Komponisten sind die „Chichester Psalms“ sein „eingängigstes tonales Stück, das ich jemals geschrieben habe“. Freilich wollte der zutiefst an die Tonalität glaubende Bernstein keine Trennlinie zu nicht-tonaler Musik ziehen, für ihn war vielmehr in jeder Art von Musik der humane Ausdruck das Wesentliche.

Auch der Schönberg-Schüler Charilaos Perpessa folgte nicht der Zwölftonschule seines Lehrers, sondern blieb in seiner Musik immer einer an Wagner, Bruckner und Mahler anknüpfenden, harmonischen Tonsprache verpflichtet. Die „Christus-Symphonie“, das monumentalste der nur fünf überlieferten Orchesterwerke des in Deutschland geborenen, aus einer griechischen Familie stammenden, geheimnisumwitterten Komponisten bildet den ersten Teil des Symphoniker-Konzertes mit dem Dirigenten Carydis, der so wie Perpessa griechische Wurzeln hat. Der einst von Stardirigenten wie Dmitri Mitropoulos und Eugen Ormandy aufgeführten, 1948-50 für großes Symphonieorchester komponierten „Christus-Symphonie“ liegen Verse aus der biblischen Offenbarung und im Finale der Choral „Oh Du mein Jesus!“ zugrunde. Perpessas gewaltige, archaische, epische und hymnische Musik bewegt sich zwischen den inhaltlichen Polen menschlicher Selbstzerstörungskraft und Liebe, Glaube, Hoffnung. Sie erlebt nach Jahrzehnten der Vergessenheit nun durch die Symphoniker ihre Auferstehung. Hallelujah.